Teeweg

Kusari no ma (Ketten-Teeraum in Hiroshima)
Kusari no ma (Ketten-Teeraum in Hiroshima)

Chadô – der Teeweg 

Was hierzulande ‚Teezeremonie’ heißt, trägt in seinem Ursprungsland einen viel bescheideneren Namen, nämlich Chadô (‚Teeweg’), oder Chanoyu (‚heißes Wasser für den Tee’). Bei der Teezeremonie geht es im Kern um einen ganz alltäglichen Vorgang, der jedoch in den Rang eines beinahe sakralen Rituals erhoben ist, in dem jede noch so kleine Handlung mit großer Aufmerksamkeit ausgeführt wird.


In das komplexe Gebilde Chanoyu sind ganz unterschiedliche Einflüsse eingegangen: konfuzianische Etikette, japanische Gastlichkeit, eine revolutionäre Ästhetik, Shintô-Rituale und, nicht zuletzt, der Zen-Buddhismus. Alles zusammen ist zu einem Kunstwerk verschmolzen, das immer wieder, im Hier und Jetzt jeder einmaligen Teezusammenkunft, neu erschaffen werden muss, und zwar von allen Beteiligten, Gastgeber und Gästen, gemeinsam.

 

Was ist der tiefere Sinn?

Gut vier Stunden dauert eine formelle Teezusammenkunft, bei der Gastgeber und Gäste gemeinsam eine Atmosphäre der Harmonie, des Respekts, der Reinheit und der Stille erschaffen, wie es der bedeutendste Teemeister der Vergangenheit, Sen no Rikyû, gefordert hat: Harmonie betrifft das Miteinander der an der Zeremonie beteiligten Menschen, die Zusammenstellung der Teegeräte sowie den Einklang mit der Natur, vertreten durch das Blumengesteck; Respekt meint die gegenseitige Achtung von Gastgeber und Gästen, sowie eine für uns Europäer beinahe befremdliche Wertschätzung der im Teeraum versammelten Gegenstände: der Teeschale, der Teedose, der Wassergefäße etc.; Reinheit ist geradezu das zentrale Element der Zeremonie, bei dem es nicht nur um die äußere Sauberkeit des Teehauses, des Teegartens und der zu benutzenden Gerätschaften geht, sondern vor allem um eine innere, eine spirituelle Reinigung des Geistes; und Stille bedeutet das gemeinsame Erlebnis des Zur-Ruhe-Kommens, bei dem die Beteiligten nicht mehr von störenden Gedanken aus der Alltagswelt in Anspruch genommen werden, sondern sich bis zur Selbstvergessenheit dem geruhsam fließenden Ablauf des kunstvollen Rituals überlassen: Stille als genau die Stille des Geistes, die unter der Bezeichnung Mushin das Ziel der Zen-Übung darstellt.

 

Tee als WEG

Mit diesen vier Leitbegriffen hat Sen no Rikyû (1521 – 1591), der bedeutendste unter den japanischen Teemeistern der Vergangenheit, für den Teeweg einen sehr hohen Anspruch geltend gemacht. Was auf diese Weise angestrebt wird, ist freilich eher die conditio sine qua non für jede gelungene Teezusammenkunft als ein Ziel, das es in bewusster Bemühung zu erreichen gilt. Ein Ziel in diesem Sinne kennt die Teezeremonie nicht: Man bereitet lediglich Tee, den die Gäste trinken, sonst nichts! Aber gerade darin liegt auch die Möglichkeit, diese Kunstform als einen WEG zu beschreiten. Denn dort, wo man aufhört, sich bewusst Ziele zu setzten und alle Kraft darauf zu verwenden, das Ziel auch tatsächlich zu erreichen, wo man sich stattdessen ganz einfach dem scheinbar sinnlosen und doch kunstvollen Ablauf überlässt, bahnt sich eine Transformation des Ausübenden an, die ihn zu größerer Gelassenheit und Freiheit führt, auch außerhalb des Teehauses.

 

Für denjenigen, der sich auf den Weg des Tees begibt, gehen dem aber viele Jahre des Übens voraus, in denen er nicht nur die Regeln für eine formale Durchführung der vielen unterschiedlichen Zeremonien lernt, sondern auch jeden einzelnen Handgriff bis ins kleinste Detail immer und immer wieder einübt. Letztendlich gilt es dabei, sich so sehr in das eigene Tun zu versenken, dass keine störenden Gedanken mehr auftauchen. Die Frage: „Was kommt denn jetzt als nächstes?“ stellt sich gar nicht mehr. Ohne jedes Nachdenken wissen die Hände ganz von selbst, wohin sie zu gehen haben. Und falls sich doch einmal ein Fehler einschleicht, so dass der ganze Ablauf zusammenzubrechen droht, erfolgt ganz plötzlich, wie aus heiterem Himmel, der rettende Ausweg – und alles gleitet wieder in die gewohnten Bahnen zurück.

 

Besonders charakteristisch für die Teezeremonie ist das dichte Geflecht aus Regeln, und fast ebenso bezeichnend sind die Abwehrhaltung und Trotzreaktion, die genau dadurch ausgelöst werden. Aber wer sich eingeengt fühlt, wenn er dem Ritual folgt, der beherrscht es noch nicht. Erst dann, wenn man alle Regeln vollständig verinnerlicht hat, gelingt es, dem vorgeschriebenen Ablauf keinen eigenen Willen mehr entgegenzusetzen. Wenn man dann ganz natürlich ausatmet, und die Luft wie von selbst wieder einströmt, kann man sich von allen unnötigen Gedanken trennen – und welche Gedanken wären das nicht? So selbstverständlich wie der Atem fließt, fließen auch die Bewegungen. An diesem Punkt gibt es keine Regeln mehr, die man einhalten muss; das gesamte Bewusstsein, unser Körper, unsere Bewegungen werden zu einem Medium, durch welches das Ritual sich selbst vollzieht, und wir fühlen einen Strom von Freiheit. Zu Recht hat Sen no Rikyû deshalb den Vollzug der Teezeremonie als Verwirklichung des ‚Reinen Landes’ des Buddha Amitâbha (jap.: Amida) angesehen, nicht an irgendeinem fernen Ort und zu anderer, erst zukünftiger Zeit, sondern gerade hier und jetzt.

 

Dass die Teezeremonie zu mehr als einer bloß ästhetischen Erfahrung wird, liegt aber nicht nur in der Verantwortung des Gastgebers, sondern gleichermaßen auch in derjenigen der Gäste, die das Geschehen keineswegs passiv verfolgen. Tatsächlich sind die Anforderungen an die Gäste fast ebenso hoch, wie die an den Gastgeber, gibt es doch nicht wenige Stellen, an denen zumal der 1. Gast seinen für den weiteren Verlauf unabdingbaren ‚Einsatz’ hat. Ferner müssen sich alle Gäste im Umgang mit dem Gerät auskennen, etwa wie die Teeschale abgeholt, angesetzt, nach dem Trinken gereinigt und zum Gastgeber zurückgebracht wird. Das Wichtigste für die Gäste ist jedoch, nicht von jener Geisteshaltung abzuweichen, die Sen no Rikyû mit seinen vier Leitbegriffen von ihnen einfordert: Der Alltag hat im Teehaus nichts zu suchen; am steinernen Handwaschbecken soll man sich deshalb vor allem einer inneren Reinigung unterziehen. Und hat man sich noch nicht von sämtlichen Sorgen und Nöten freimachen können, erwartet den Gast direkt neben dem Eingang zum Teehaus eine kleine Abfallgrube, deren kunstvoll ausgelegter Inhalt nicht nur anzeigen soll, dass der Gastgeber den Teegarten vor dem Eintreffen der Gäste gründlich gesäubert hat – diese Abfallgrube bedeutet vor allem anderen die Aufforderung an die Gäste, sich von allem Weltlichen zu befreien und – ganz im Sinne des Zen – vollständig loszulassen.